Herausforderungen bei hybriden Veranstaltungen
Hey Thomas. Gerne würde ich mich ein wenig mit dir über die hybride Veranstaltung zu Betriebsratsarbeit in digitalen Zeiten Ende März 2021 unterhalten. Ich habe nachgezählt, insgesamt hatten wir zwischenzeitlich 23 virtuelle Teilnehmende dazugeschaltet und in unserem immer noch mehr improvisierten als durchgestyltem Hybridraum saßen noch 5 zusätzliche Teilnehmende in Präsenz, auch die haben in der Lernplattform und zeitweilig im Videokonferenztool gearbeitet. Auch waren die beiden Referent:innen physisch anwesend. In einem Pausengespräch auf unserem Flur in der wisoak habe ich mich bereits kurz ausgetauscht mit dem Medienpädagogen Markus Gerstmann und zwar ging es vor allem um die Herausforderung, die diversen kommunikativen Ebenen zu handeln – einmal zwischen den Referent:innen und den zwei Teilnehmendengruppen (virtuell/Präsenz) und zusätzlich noch zwischen den Referent:innen selbst. Und da spreche ich noch nicht über die Technik. Wie hast du das Setting insgesamt wahrgenommen?
Hallo Gesa. Gerne tausche ich mich dazu aus. Zunächst möchte ich eine Begriffsklärung vornehmen. Es gibt „hybride“ Formate, die eigentlich Präsenzveranstaltungen sind, bei denen lediglich einige wenige Teilnehmende (TN) zugeschaltet werden. In unserem Fall handelte es sich um ein „vollhybrides“ Format. Hybride Veranstaltungen in diesem Sinne gehören zu den sowohl für den Bildungsträger als auch die Lehrkraft herausforderndsten Unterrichtssettings. Ich möchte die Herausforderung gern zunächst von der Rolle der Dozierenden her angehen, und dann über die Aufgaben der unterstützenden Infrastruktur – also den Support – sprechen.
Hört sich an als läge dir eine Menge auf der Seele. Dann leg‘ mal los.
Die Dozent:in einer Hybridveranstaltung steht vor einer mehrfachen Aufgabe. Zunächst muss sie ihren Seminarinhalt draufhaben und über allgemeine (erwachsenen)pädagogische Kenntnisse verfügen – soweit noch Standard. Da ein Hybridseminar aber von Anfang an auch auf die digitalen TN hin konzipiert sein muss, setzt das zusätzlich gute Kenntnisse und Praxiserfahrungen in digitaler Lehre voraus.
Ja, da gehe ich mit. Damit das Seminar als Ganzes funktioniert, müssen die Präsenz-TN in Didaktik und Choreografie in das digitale Format eingebunden werden – genauso aber auch umgekehrt. Dennoch bildet sich v.a. im Präsenzanteil so eine Art semiautonome Teilgruppe. So war es zumindest in unserem Setting, in dem die Referent:innen auch in Präsenz anwesend waren. Sinnvollerweise arbeiten dann die analogen TN an den im Unterrichtsraum zur Verfügung gestellten Geräten in denselben Settings – also derselben Lernplattform und denselben Videokonferenz- und sonstigen Software-Tools (die auch von den virtuellen TN genutzt werden). Per Webcam können sich die Präsenzteilnehmenden so für alle virtuellen TN sichtbar machen. Oder bestenfalls kann die Kamera im physischen Raum alle TN und die Dozent:innen gut einfangen – soweit ist unser Hybridraum aber noch nicht.
Ja, aber wir arbeiten dran und ich bin zuversichtlich, dass der Raum mit der Anschaffung der interaktiven Whiteboards diese Problematik aushebelt. Wie du aber eben schon meintest, die eigentliche Herausforderung ist das laufende Seminar. Denn tatsächlich entwickelte sich in der in diesem Fall ja eher kleinen Präsenzgruppe eine „normale“ Gruppendynamik. Die reichte von spontanen Fragen an die Nachbar:in über spontane Witze hin zu längeren Pausengesprächen; eben all dem, was ein Präsenzseminar auch zwischenmenschlich interessant macht. Auffällig war, dass an den Stellen, wo aufgrund von kleinen Witzen oder komische Situationen im Raum gelacht wurde, die virtuellen TN in der Regel nicht mitbekamen, worüber gelacht wurde. Einzelne waren davon erkennbar genervt. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass vor allem die virtuellen TN intensiv den öffentlichen Chat nutzten. Der Dozent einer Hybridveranstaltung muss also sowohl die Individuen in der Gruppe vor ihm als auch die virtuellen TN als auch den Chat im Blick behalten. Generell empfiehlt es sich, bei anspruchsvollen Inhalten und/oder interaktivem Seminargeschehen und/oder heterogenen Lerngruppen und/oder großen Auditorien (>14) eine zweite Person als Co-Moderator:in parat zu haben. Diese Co-Moderator:in kann auch im Vorfeld-Support eingesetzt werden (s.u.). Bei hybriden und nach obigen Kriterien komplexen Seminaren empfiehlt es sich, häufiger Nachfragerunden einzuplanen, und hierbei besonders die virtuellen TN in den Blick zu nehmen – durch Direktansprache und Aufgreifen der Anliegen im Chat.
Gehen wir also über zum Support. Der ist für ein solches – wie du es nennst – „vollhybrides“ Seminar sehr intensiv.
Ja, in diesem Fall war klar, dass die TN aus 22 verschiedenen Institutionen beziehungsweise Firmen stammen würden. Für die wisoak ergibt sich generell bei digitalen oder hybriden Formen die Notwendigkeit einer doppelten TN-Führung. Die TN werden in die zentrale Datenbank eingegeben und erhalten von dort aus automatisiert ihre erste Bestätigung. Dann werden sie als TN im Lernmanagementsystem (LMS, bei uns: Moodle) angelegt und erhalten aus diesem System Ihre Zugangsdaten. Eine Woche vorher bekommen sie eine auf das Seminar zugeschnittene Mail mit detaillierten, auch technischen Hinweisen, wie sie sich in das LMS und vor allem in das Videokonferenztool BigBlueButton (BBB) einloggen können. Aus Erfahrung wissen wir, dass besonders die Firewalls größerer Unternehmen und Institutionen das Einloggen blockieren. Theoretisch müssten sich die TN unser Seminar im Vorfeld freischalten lassen, das aber dauert zum Teil Wochen, oder es wird gar nicht erlaubt. Wir schlagen daher immer vor, dass entweder Gäste-WLANs genutzt werde sollen oder aber das Einloggen von Zuhause erfolgen soll. Wiederum aus Erfahrung wissen wir, dass nicht alle TN diese Mails gründlich lesen.
Von daher sehen wir uns die TN-Liste eines jeden digitalen oder hybriden Seminars an und prüfen, wo Probleme drohen könnten. In diesem Fall haben wir im Vorfeld alle 16 voraussichtlichen virtuellen TN telefonisch kontaktiert. Die meisten arbeiteten bereits aus dem Home Office, so dass wir tatsächlich potentielle Probleme mit Firewalls ausschalten konnten.
Obwohl wir in unserer technisch-organisatorischen Mail bitten, das Einloggen mit den Zugangsdaten möglichst vorher zu testen, wissen wir, dass das nur ein Teil der TN auch wirklich macht. Daher haben wir eine zeitlich-organisatorische Support-Kaskade installiert. Für digitale Seminare gibt es mindestens 3 Support-Stufen, die auch ab Versenden der technisch-organisatorischen Mail greift. Es gibt mindestens eine Telefonnummer und Mailadresse eines Mitarbeitenden der EDV-Abteilung, wenn möglich mit Benennung eines Vertreters / einer Vertreterin. Dann gibt es die Kontaktdaten der zuständigen Sachbearbeitung sowie der Bildungsmanager:in. Im Falle des BR-Seminars war auch der ServicePoint vorbereitet, zudem gab es eine Mobilnummer für den Notfall.
Am Veranstaltungstag selbst richten wir eine Check-in-Zeit von mindestens 30, in diesem Fall 60 Minuten ein. Da das Seminar um 10 Uhr beginnen sollte, stand das Support-Team ab 9 Uhr zur Verfügung. Es empfiehlt sich, das Murphysche Gesetz ernst zu nehmen. Es geht schief, was schief gehen kann. Jemand hat Probleme mit seinem heimischen WLA, jemand anders findet den Button für den Mikrofon-Test nicht, eine Dritte benutzt einen ungünstigen Browser. Unsere Erfahrung sagt, dass alle Support-Ebenen in der Check-in-Phase bis nach Beginn des Seminars zu tun haben.
Im Unterrichtsraum selbst hatten wir an die 6 TN Tablets ausgegeben, und es erwies sich als sinnvoll, auch dort eine Person als Support zu stellen. Sie leistete Hilfe beim Bedienen der Tastatur und beim Einloggen. Während eines komplexen digitalen oder hybriden Seminars achten wir im Moment noch darauf, dass auch mindestens ein BM als beobachtender TN miteingeloggt ist. Wichtig ist, dass in jedem Fall die dozierende Person jederzeit eine Person als Support zur Verfügung hat, und sei es per Fernwartungstool.
In der Check-in-Phase steigt zumeist der Adrenalinspiegel bei allen Beteiligten, und die Lehrkraft muss hier über die Nerven und die Flexibilität verfügen, bis etwa 15 Minuten nach geplanten Beginn das Auditorium bei Laune zu halten, wenn noch TN fehlen. Erfahrungsgemäß fehlt zum geplanten Start immer noch mal jemand. In unserem Fall hatten wir dank der intensiven Kontaktaufnahme die luxuriöse Situation, dass unsere Support-Kaskade dafür gesorgt hatte, dass alle um 10 Uhr analog und virtuell da waren.
Aber dann gab es noch einen spannenden Moment…
Ja, und den haben wir auch als Teil des zu Lernenden vermittelt. Wir nutzen als Videokonferenztool das Open-Source-Tool BBB, und das verfügt bis jetzt nicht über eine Bildkomprimierungssoftware. Entsprechend datenintensiv ist jedes digitale Seminar, wenn die Kameras der TN alle parallel angeschaltet sind, insbesondere mit eher vielen TN. Da wir wussten, dass der Dozent einen Moment lang alle Kameras parallel angeschaltet haben wollte, haben wir die TN ganz am Anfang gebeten, unsere Datenleitungen einem realen Stresstest zu unterziehen. Natürlich sind wir davon ausgegangen, dass alles gut geht, aber beim Internet weiß man ja nie so ganz genau… Dafür gab es – wie im Ferienflieger – eine Anweisung, was zu machen ist, wenn BBB abstürzt, die Bilder einfrieren etc. Die „Schwimmweste“ war: Bei Absturz ausloggen und wieder neu das virtuelle Klassenzimmer betreten. In der Phase hätte unsere Support-Struktur verlorenen Schafen nur durch Anrufen helfen können. Aber wir hatten Glück, und eine Notlandung war nicht möglich. Immerhin haben wir seit ein paar Monaten einen Glasfaseranschluss und einen eigenen Server für BBB. Und ich wünsche mir, dass wir in drei Jahren über solche Probleme nur noch lachen – es ist halt immer noch ein bisschen die Wildwestphase der Digitalisierung der Weiterbildung. Sehr viel Learning by Doing.
Ja, ich bin auch immer wieder über die diversen Stolperfallen erstaunt, die ein solches hybrides Setting mit sich bringt. Auch freue ich mich auf die technische Professionalisierung des Studios. Denn die Didaktik solcher Unterrichtsformate ist schon alleine eine Wissenschaft für sich. Derzeitig sind wir jedoch immer noch derart beschäftigt damit die benötigte Technik ins Rollen zu bringen. So gab es zeitweise immer so ein Fiepen im Audio – man konnte richtig gut in den Gesichtern der virtuellen Teilnehmenden ablesen, wie anstrengend der Geräuschpegel ist. Auch der Bildausschnitt der Referent:innen war nicht ideal gewählt, besser wäre eine frontale Kamera gewesen usw. usw.
Dazu kam dann noch, dass der Dozent einer plötzlichen Eingebung folgend die Teilnehmenden in sogenannte Murmelgruppen (Break out Räume) schicken ließ. Didaktisch eine super Sache. Praktisch und technisch bedarf es allerdings im Setting mit BigBlueButton einer anderen Vorbereitung als mit z.B. zoom – daher kam es da leider zu kleineren Problemen und das eigentliche Potential der Idee (Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmenden in Kleingruppen) ging z.T. verloren. Trotz derkleinen Pannen war es aber eine abwechslungsreiche Veranstaltung, wie ich finde, in der die Herausforderungen des Digitalen Arbeitens skizziert wurden und digitale Tools vorgestellt und ausprobiert wurden. Die Referentin der Arbeitnehmerkammer hat mit ihrem spannenden Input zu rechtlichen Fragen der digitalen Betriebsratsarbeit die Veranstaltung eingeleitet und konnte immer wieder wertvolle Auskünfte zum Thema geben. So entstand ein interaktiver Diskurs und fachliche Fragen der Teilnehmenden, z.B. ob Betriebsratswahlen auch digital durchgeführt werden können und wie es um die Rechtssicherheit von Beschlüssen steht, konnten kompetent beantwortet werden. Auch kam es zu einem Exkurs zum Thema Datenschutz … eben das leidliche Thema, dass viele praktische digitale Tools nicht DSGVO-konform sind. Du als Datenschutzbeauftragter hast doch sicherlich dazu ein paar Sätze zu sagen. Wie gehst du in deiner Praxis bei der wisoak mit der Problematik um?
Im Moment noch pragmatisch. Mit dem LMS und BBB sind wir datenschutzmäßig auf der sicheren Seite. Mit den kommerziellen Tools ist das schwieriger, weil deren Anbieter häufig ihren Firmensitz außerhalb des Geltungsbereichs der DSGVO haben. Das ist ja auch juristisch noch nicht endgültig geklärt. Wenn einzelne Lehrkräfte mit anderen Tools als BBB arbeiten wollen oder Firmenkunden das einfordern, machen wir das für eine Übergangsphase und als Ausnahme. Ich persönlich betrachte ich es auch ein bisschen als sportliche Herausforderung, die Digitalisierung soweit wie möglich mit Open-Source-Tools zu gestalten. Aber wo diese vorläufig Grenzen erreichen, setzen wir weitere Tools als Ergänzung ein, etwa für sehr große virtuelle Gruppen. Ansonsten bin ich ein echter Fan von Moodle geworden, und in Lerngruppen bis 16 TN läuft BBB inzwischen sicher und stabil.
Ja, es geht voran. Vielen Dank dir.